Vor wenigen Wochen habe ich meine neue Aufgabe an der Technischen Universität Wien angetreten. Bereits lange im Voraus hatte ich mir Gedanken darüber gemacht, wie ich das, was mir für die Zukunft wichtig erscheint, am besten vermitteln könnte. Die Antwort fußt auf der Art und Weise, wie wir Architektur verstehen.
Prof. Juri Troy, Architekt, Inhaber der BML-Stiftungsprofessur für Holzbau und Entwerfen im urbanen Raum, TU Wien
holzbau austria Magazin 7/2023
Foto: © Privat
Betrachtet man die Entwicklung unserer gebauten Umwelt, so konnte man über viele Jahrhunderte durchgängige evolutionäre Prozesse erkennen. Diese führten zwar immer wieder – insbesondere aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen – zu unterschiedlichen Ausformungen, aber im Wesentlichen weisen sie in ihrer Haltung zu Material und Handwerklichkeit etwa eine erstaunliche Durchgängigkeit auf.
Dies führte zu einem kontinuierlichen Strom von Wissen, welches von einer Generation an die nächste weitergeht. Von dieser Grundlage aus war es möglich, sich mit Themen der (Bau-)Kultur zu beschäftigen und unterschiedliche Haltungen zu entwickeln. Doch im vergangenen Jahrhundert änderte sich dies schlagartig. Ausgelöst durch zwei Weltkriege und der damit verbundenen Notwendigkeit eines raschen Wiederaufbaus, aber auch durch die Einführung neuer Materialien und Bauweisen wurde eine neue Art des Denkens und Handelns etabliert. Dies hat nicht nur die Kontinuität der Wissensvermittlung um das Bauen verändert, sondern uns vielmehr als Gesellschaft vor nun beinahe unlösbare Herausforderungen gestellt. Hoher Ressourcenverbrauch, Zersiedelung, Verkomplizierung des Bauens, überbordende Flächenversiegelung, Klimaschädigung etc. sind alles Themen, die damit in direktem Zusammenhang stehen und nun gleichzeitig zu Hauptthemen geworden sind.
Noch vor etwa 20 Jahren, als ich selbst gerade mein Studium an der Akademie am Schillerplatz abgeschlossen hatte, waren die Inhalte des Architekturdiskurses völlig andere. Damals hatte das Stararchitektentum seine volle Blüte erreicht. Weltweit wetteiferten die allseits bekannten Vertreter dieser Haltung um die Umsetzung all dessen, was noch nie dagewesen war. Auf der Biennale in Venedig lieferte man sich Material- und Detailschlachten und Hans Hollein sprach bei einer Verleihung des Bauherrnpreises als Präsident der ZV der Holzbauarchitektur Vorarlbergs ihre internationale Relevanz ab. Aber natürlich – wenn alles Architektur ist, hat gleichzeitig nichts mehr Relevanz.
Seither sind zwei Jahrzehnte vergangen – früher hätte man das noch mit einer Generation gleichgesetzt. Unsere Zeit hat sich verändert, wir als Gesellschaft haben es ebenfalls. Themen, die seit jeher wesentliche Fragen der Architektur und des Lebens waren, rücken wieder in den Mittelpunkt. Und dabei spielt auch die Wahl der Bauweise eine ganz entscheidende Rolle. Ich denke, dass hier der Werkstoff Holz nicht nur aufgrund seiner exzellenten bautechnischen und klimaschonenden Eigenschaften eine wesentliche Rolle spielen wird. Holzbau punktet aufgrund der Tatsache, dass das Planen und Konstruieren wieder eine völlig andere Art des Denkens erfordern, die dennoch perfekt mit modernen Planungs- und Baumethoden in Einklang zu bringen ist. Ein Denken, welches wieder verstärkt mit Materialgerechtheit, Ressourcenbewusstsein, Kreislaufdenken, Ökologie, Weiterbauen und -nutzen des Bestandes und der Nachhaltigkeit in all ihren Facetten zu tun hat. Kurzum, mit einer ganzheitlichen Architekturauffassung.
Wir müssen uns also wieder wegbewegen von der Vorstellung, dass alles möglich ist. Denn selbst wenn alles möglich ist, ist noch lange nicht alles sinnvoll. Und genau auf diesen Diskurs freue ich mich bereits jetzt am meisten.
©holzbau austria 2024 Mitglied der Timber Construction Europe