Es ist eine aufregende Zeit, Architekt zu sein. Wir befinden uns am Beginn einer grundlegenden Transformation der Bauwirtschaft, davon bin ich überzeugt. Wir werden alle aktuell diskutierten Konzepte für die Transformation brauchen, vor allem mehr Suffizienz, mehr Wahrung und Wiederverwendung des Bestands, auf der Gebäude- sowie auf der Materialebene.
Univ.-Prof. Stephan Birk, TU München
holzbau austria Magazin 4/2023
Foto: © Andreas Labes
Wir Bauschaffenden wissen einerseits (fast) alle, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann, vor dem Hintergrund der Treibhaugasemissionen, des Abfallaufkommens sowie des Primärenergie- und Ressourcenverbrauchs, die der Bausektor zu verantworten hat. Andererseits wird das Neue in der Breite noch nicht umgesetzt, obgleich zahlreiche Konzepte erarbeitet und diskutiert werden. Das geschieht sowohl top down, beispielsweise im Rahmen des New European Bauhaus der Europäischen Union, als auch bottom up, durch das wichtige Engagement von architects4future, etwa mit zehn Forderungen für eine Bauwende.
Und der Holzbau? „Entwickelt sich prächtig“, möchte man sagen. Wer sich zuvor nicht von den ästhetischen Vorzügen des Materials überzeugen ließ, sieht in dem nachwachsenden Rohstoff nun einen Lösungsansatz für die CO2-Reduktion im Bauwesen. Es kann einem schwindelig werden, ob der vielen neuen Holzbauten, die aktuell hoch und weit in der ganzen Welt geplant werden. Manch buntes Bild, das nach Architekturwettbewerben veröffentlicht wird, zeigt deutlich, dass es oft am materialspezifischen Wissen und der konstruktiven Disziplin fehlt, die der Holzbau nun einmal verlangt.
Diesen Wachstumsschmerzen begegnen wir in der Ausbildung an der Technischen Universität München mit Vorlesungsreihen und Projektarbeiten zum Entwerfen und Konstruieren mit Holz. Mit dem Zertifikatprogramm „TUM.wood – Mit Holz bauen“ bieten wir jährlich eine fundierte Weiterbildung entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Holz an, die von Architekten und Auftraggebenden stark nachgefragt wird. Für das Holzbauwissen wird mittelfristig gesorgt sein. In der Skalierung der gesamten Branche, vor allem der ausführenden Firmen, welche die Holzbauideen umsetzen müssen, besteht aktuell die größte Herausforderung.
Der nachwachsende Rohstoff Holz ist prädestiniert, eine Schlüsselrolle bei der Dekarbonisierung des Bauwesens einzunehmen. Hierfür muss ganzheitlich und in Systemen gedacht werden – im Wald beginnend bis hin zu kaskadischen Nutzungsszenarien, die in der thermischen Verwertung von Holz enden. Wenn wir zukünftig mehr mit Holz aufstocken, um- und neu bauen wollen, geht dies nur mit einem verantwortungsvollen Umgang mit der Ressource. Wieder- und Weiterverwendung müssen eine Selbstverständlichkeit sein. Der Schlüssel hierzu liegt in der Kreislaufeffektivität, in Maßnahmen, die ein Wirtschaften in Kreisläufen ermöglichen: Nutzungsflexibilität des Gebäudes, Demontierbarkeit der Bauteile und Trennbarkeit der Bauelemente bis zur Einzelkomponente.
Wie das geht, was dies in letzter Konsequenz bedeutet, zeigt in diesem Heft der mit Studierenden entwickelte und umgesetzte Neubau einer Werk- und Forschungshalle in Diemerstein: Ein Reallabor für die kreislaufeffektive Bauwende mitten im Pfälzer Wald.
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