Wie ein altes japanisches Holzhaus nach Frankreich kam und was das mit dem modernen Holzbau zu tun hat.
Milena Karanesheva, KARAWITZ/Paris
holzbau austria Magazin 5/2024
Foto: © KARAWITZ
Als die französische Anthropologin Jean Cobbi Ende der 1970er-Jahre für ihre Forschung über die japanischen Traditionen nach Kiso (Nagano) kam, wohnte sie im Haus des Leiters der örtlichen Agrargenossenschaft – einer Minka aus dem Jahr 1861. Sie versuchte, den Hauseigentümer zu ermutigen, dieses Bauwerk, das bereits historischen Wert hatte, zu erhalten, und bekam einen unerwarteten Vorschlag: Er bot ihr an, sie könne es „mit nach Hause nehmen“, er würde das Haus sogar selbst ab- und in Frankreich wieder aufbauen.
So kam 1999 diese etwa 100 m2 große und zehn Tonnen schwere Minka1 nach Paris und wurde dort von einem Team aus japanischen Architekten und Zimmerleuten innerhalb weniger Wochen zuerst im Musée de l’Histoire Naturelle2, später im Musée de l’Homme3 und schließlich im Jardin d’acclimatation4 wieder aufgebaut. Das kleine japanische Holzhaus steht sinnbildlich für Tradition und Modernität zugleich. Mit lokalen Mitteln und in Symbiose mit der Umgebung geschaffen, ist traditioneller Holzbau fest im Ort verankert, Ausdruck seiner Kultur. Klima, Ressourcenschonung, Kreislaufwirtschaft und in dem obigen Fall eine Art Vorfertigung, sind formprägend. Moderner Holzbau kann (muss nicht) um den halben Globus transportiert werden und trägt oft die Züge eines internationalen Stils, der für Komfort, Ergonomie, Effizienz, aber auch Größe und Technologie steht.
Der menschengemachte Klimawandel stellt uns heute vor große und komplexe Herausforderungen, die nur gesamtgesellschaftlich angegangen werden können. Er drängt uns, in dem von der Natur vorgegebenen Rahmen Modernität neu zu definieren. Hierfür bietet gerade der Baustoff Holz, der mit anderen Materialien – von Stahl bis Stroh – „komplexfrei“ Symbiosen eingeht, exzellente Möglichkeiten, sehr gute CO2-Bilanz, schnelle Bauzeiten, energieeffiziente Bausysteme, Qualität und Präzision durch Vorfertigung sowie bessere Arbeitsbedingungen.
Die fortschreitende Digitalisierung, ja Robotisierung der Baubranche generell und des Holzbaus insbesondere eröffnen heute ganz neue Horizonte und bieten Lösungsansätze für die steigende Komplexität der Bauaufgaben und der gesellschaftlichen Bedürfnisse. Gerade im Bereich der Kreislaufwirtschaft und des Bauens im Bestand könnten die technischen Errungenschaften einen Qualitätssprung herbeiführen. Zugleich steigen die Anforderungen an Sicherheit, Brandschutz, Komfort, Energie- und CO2-Verbrauch. Wie können wir, wie wollen wir damit umgehen? Als Bauherren, Hersteller, Planer, Handwerker, Nutzer, Bürger?
Das Bauen, die Architektur sind Ausdruck der Kultur, gestalten Umwelt und Zukunft weit über das Leben der beteiligten Akteure hinaus. Hierfür ist Verantwortungsbewusstsein jedes einzelnen Akteurs, aber auch der Gemeinschaft als Ganzes vonnöten. Den Methoden der Zusammenarbeit über das Technisch-Gestalterische hinaus kommt eine besondere Bedeutung zu. Kooperation, Verzahnen, Vernetzen auf Projektebene, aber auch interdisziplinär und über die regionalen Grenzen hinweg sind die einzige Möglichkeit, die Herausforderungen der heutigen Zeit zu adressieren und den Holzbau auf seinem verdienten, zentralen Platz im Baugeschehen zu fördern. In der Natur würde man diese Art des Zusammenspiels Symbiose nennen. Womit wir bei der gesellschaftlich angewandten Biomimetik wären, aber dazu ein anderes Mal.
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